Da es hier um Mangas und Animes geht, tu ich es mal hier rein. Hat mir Smo auch geraten.
Ich hab das heute in unserer Zeitung (Rundschau am Sonntag) gefunden:
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Mit großen Augen
MANGA UND ANIME – Wie japanische Comicwelten unsere Märkte und Herzen erobern / Von Christoph Elles
Entenhausen ist verwaist. Das kleine gallische Dorf rottet sehr zur Freude der Wildschweine vor sich hin. Und den berühmten blauen Anzug mit dem scharf geschwungenen „S“ haben die Motten angefressen.
Statistiken aus dem Land der Comics legen den Schluss nah, dass die Zeit von Asterix, Donald Duck und Superman bald abgelaufen ist. Die modernen Helden heißen Bunny Tsukino, Conan Edogawa oder Inu Yasha. Sie sind Hauptfiguren japanischer Comic-Hefte, so genannter Mangas, und laufen der Konkurrenz aus Belgien, Frankreich und den USA zunehmend den Rang ab.
In den vergangenen Jahren haben Mangas den deutschen Comic-Markt in beispielloser Weise erobert. Mit langjährigen Zuwachsraten im dreistelligen Prozentbereich haben sie alle anderen Serien in Windeseile überholt: Schätzungen zufolge macht der Verkauf von Mangas inzwischen 75 bis 80 Prozent des gesamten deutschen Comic-Absatzes aus. Im vergangenen Jahr hat die Branche hierzulande den japanischen Bildergeschichten knapp 70 Millionen Euro umgesetzt – in einem Markt, der vor 15 Jahren praktisch noch nicht existierte.
Gleichwohl könnte man im Mutterland der Mangas über solche Zahlen nur milde lächeln: Dort ist der Markt derzeit etwa vier Milliarden Euro schwer. Pro Monat erscheinen zwischen 250 und 300 Manga-Magazine, jedes von ihnen bis zu 1000 Seiten stark. Die erfolgreichsten Serien werden in Millionenauflage gedruckt.
Es gibt Mangas für Mädchen und Jungen, Kinder und Senioren, Hausfrauen, Angestellte und Manager. Kochbücher, Gebrauchsanweisungen und politische Essays, angeblich sogar Steuererklärungen sind mitunter als Comics gestaltet. Es gibt Manga-Ausstellungen, spezielle Bibliotheken und Cafés, in denen der Kunde, ähnlich wie bei Internet-Cafés, stundenweise bezahlt. In dieser Zeit darf er so viele Comics aus dem Bestand lesen, wie er eben schafft.
Die Gattung Manga ist in Japan so vielfältig, wie wir es sonst nur von klassischen Kunstformen wie Theater, Literatur oder Film gewohnt sind. Der Begriff setzt sich zusammen aus den Worten „man“ (=spontan) und „ga“ (=Bild). Er umfasst neben Comics auch Karikaturen und Cartoons.
In seiner heutigen Form wurde der Manga nach dem Zweiten Weltkrieg in Japan populär, sein Erfolg war Grundstein einer boomenden Industrie. Die milliardenfach verkauften Taschenbücher und Magazine decken alle Genres ab: historische Stoffe, Science-Fiction, Gesellschaftsdrama und Fantasy, Comedy und Erotik in allen Formen. „Den“ Manga zu definieren, ist ungefähr so unmöglich, wie „den“ Roman allgemeingültig zu beschreiben.
Während Mangas in Japan zum Alltag gehören, an Universitäten studiert werden und manche Zeichner zu landesweit bekannten Popstars machen, würde in unseren Breiten den meisten beim Wort „Manga“ zunächst – und fälschlicherweise – eine exotische Frucht einfallen. Denn trotz ihres Erfolgs sind die Japan-Comics im Westen bislang ein auf jüngere Generationen beschränktes Phänomen geblieben.
Während Vater in „Tim & Struppi“ blättert, erfreut Sohnemann sich an den schnellen, oft filmisch anmutenden Bildfolgen der Mangas. Angesichts der fast unheimlichen Popularität der Japan-Comics bei Jugendlichen sprach Joachim Kaps, ehemaliger Verlagsleiter bei Carlsen, unlängst von einer „kleinen Revolution des Comic-Lesens“. Die übrigens auch darin besteht, dass ein Manga, wie in Japan üblich, von hinten nach vorne und von rechts nach links gelesen wird.
Begünstigt wurde die Revolution durch die multimediale Vermarktung der Mangas, die ebenfalls in Japan ihren Ursprung fand. In Zeiten von Fernsehen, Internet und Nintendo war der Kampf um die spärliche Freizeit jugendlicher Comic-Leser für die Verlage immer härter geworden. Zunehmend entwickelten sie Strategien, ihre Mangas auch als Trickserie und Computerspiel oder in Form von Actionfiguren und Sammelkarten zu vermarkten.
Der auch auf Deutschland übertragene Boom liebloser Erzeugnisse wir „Pokémon“ oder „Yu-Gi-Oh!“ hat den Aufstieg der Mangas sicherlich begünstigt. Inzwischen ist das Angebot jedoch breiter geworden: Was früher Jungen und vor allem Mädchen zwischen 12 und 15 Jahren ansprach, zielt mehr und mehr auch auf ältere Jugendliche und Erwachsene.
Untrennbar verbunden mit der Popularität der Mangas ist der Erfolg ihrer verfilmten Geschwister, der so genannten Anime. Unbemerkt hatten die sich schon in den siebziger und achtziger Jahren in die Herzen deutscher Kinder geschlichen – kamen doch so unsterbliche Zeichentrick-Hits wie „Biene Maja“, „Heidi“ oder „Captain Future“ aus Japans damals schon blühender Animations-Industrie.
Diese Serien waren noch Auftragswerke nach europäischen Wünschen und Vorstellungen, doch inzwischen schickt Japan sich an, mit eigenen Produktionen selbst Disney und Pixar den Rang abzulaufen. Als unmissverständliches Warnsignal mussten die US-Konzerne es verstehen, dass vor drei Jahren das Fantasy-Märchen „Chihiros Reise ins Zauberland“ ausgerechnet bei den Oscars alle Konkurrenten im Animationssektor ausstach. Zwar sind die ganz großen Hits in westlichen Kinos bislang selten – während in Japan die drei erfolgreichsten Kinofilme aller Zeiten natürlich Anime sind –, aber umso mehr hat Japans Zeichentrick-Kunst im DVD-Markt eingeschlagen.
Monat für Monat gibt es zahlreiche Neuerscheinungen, in den Elektro-Kaufhäusern haben Anime längst ihren eigenen Bereich. Das Spektrum ist nicht weniger groß als bei den Mangas: Es geht von der kindgerechten Unterhaltung, die Großmeister Hayao Miyazaki so unvergleichlich in Szene setzt, bis hin zu harten Horror- und Thrillerstoffen, denen die Freiwillige Selbstkontrolle der Filmwirtschaft (FSK) trotz der lediglich gezeichneten Grausamkeiten eine Jugendfreigabe verweigert.
Die Breite des Angebots lässt es unmöglich erscheinen, die Ästhetik von Manga und Anime näher zu beschreiben. Jede gängige Behauptung – vom lange kolportierten Vorurteil einer übermäßigen Darstellung von Sex und Gewalt bis hin zum quietschbunten Pokémon-Stereotyp – stellt sich schnell als falsch heraus. Selbst die Beobachtung, dass die Figuren in japanischen Animationen unnatürlich große Augen haben, trifft bei weitem nicht immer zu. Sehr gut möglich ist allerdings, dass manch einer bei der Entdeckung der faszinierenden Comicwelten aus Fernost selbst große Augen bekommen wird. Was sich jahrelang am anderen Ende der Welt abspielte, entpuppt sich nun für den Westen als lohnenswerte Reise ins Zauberland.
(Dieser Beitrag wurde zuletzt bearbeitet: 24.09.2006, 10:43 von Little. )
Ich hab das heute in unserer Zeitung (Rundschau am Sonntag) gefunden:
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Mit großen Augen
MANGA UND ANIME – Wie japanische Comicwelten unsere Märkte und Herzen erobern / Von Christoph Elles
Entenhausen ist verwaist. Das kleine gallische Dorf rottet sehr zur Freude der Wildschweine vor sich hin. Und den berühmten blauen Anzug mit dem scharf geschwungenen „S“ haben die Motten angefressen.
Statistiken aus dem Land der Comics legen den Schluss nah, dass die Zeit von Asterix, Donald Duck und Superman bald abgelaufen ist. Die modernen Helden heißen Bunny Tsukino, Conan Edogawa oder Inu Yasha. Sie sind Hauptfiguren japanischer Comic-Hefte, so genannter Mangas, und laufen der Konkurrenz aus Belgien, Frankreich und den USA zunehmend den Rang ab.
In den vergangenen Jahren haben Mangas den deutschen Comic-Markt in beispielloser Weise erobert. Mit langjährigen Zuwachsraten im dreistelligen Prozentbereich haben sie alle anderen Serien in Windeseile überholt: Schätzungen zufolge macht der Verkauf von Mangas inzwischen 75 bis 80 Prozent des gesamten deutschen Comic-Absatzes aus. Im vergangenen Jahr hat die Branche hierzulande den japanischen Bildergeschichten knapp 70 Millionen Euro umgesetzt – in einem Markt, der vor 15 Jahren praktisch noch nicht existierte.
Gleichwohl könnte man im Mutterland der Mangas über solche Zahlen nur milde lächeln: Dort ist der Markt derzeit etwa vier Milliarden Euro schwer. Pro Monat erscheinen zwischen 250 und 300 Manga-Magazine, jedes von ihnen bis zu 1000 Seiten stark. Die erfolgreichsten Serien werden in Millionenauflage gedruckt.
Es gibt Mangas für Mädchen und Jungen, Kinder und Senioren, Hausfrauen, Angestellte und Manager. Kochbücher, Gebrauchsanweisungen und politische Essays, angeblich sogar Steuererklärungen sind mitunter als Comics gestaltet. Es gibt Manga-Ausstellungen, spezielle Bibliotheken und Cafés, in denen der Kunde, ähnlich wie bei Internet-Cafés, stundenweise bezahlt. In dieser Zeit darf er so viele Comics aus dem Bestand lesen, wie er eben schafft.
Die Gattung Manga ist in Japan so vielfältig, wie wir es sonst nur von klassischen Kunstformen wie Theater, Literatur oder Film gewohnt sind. Der Begriff setzt sich zusammen aus den Worten „man“ (=spontan) und „ga“ (=Bild). Er umfasst neben Comics auch Karikaturen und Cartoons.
In seiner heutigen Form wurde der Manga nach dem Zweiten Weltkrieg in Japan populär, sein Erfolg war Grundstein einer boomenden Industrie. Die milliardenfach verkauften Taschenbücher und Magazine decken alle Genres ab: historische Stoffe, Science-Fiction, Gesellschaftsdrama und Fantasy, Comedy und Erotik in allen Formen. „Den“ Manga zu definieren, ist ungefähr so unmöglich, wie „den“ Roman allgemeingültig zu beschreiben.
Während Mangas in Japan zum Alltag gehören, an Universitäten studiert werden und manche Zeichner zu landesweit bekannten Popstars machen, würde in unseren Breiten den meisten beim Wort „Manga“ zunächst – und fälschlicherweise – eine exotische Frucht einfallen. Denn trotz ihres Erfolgs sind die Japan-Comics im Westen bislang ein auf jüngere Generationen beschränktes Phänomen geblieben.
Während Vater in „Tim & Struppi“ blättert, erfreut Sohnemann sich an den schnellen, oft filmisch anmutenden Bildfolgen der Mangas. Angesichts der fast unheimlichen Popularität der Japan-Comics bei Jugendlichen sprach Joachim Kaps, ehemaliger Verlagsleiter bei Carlsen, unlängst von einer „kleinen Revolution des Comic-Lesens“. Die übrigens auch darin besteht, dass ein Manga, wie in Japan üblich, von hinten nach vorne und von rechts nach links gelesen wird.
Begünstigt wurde die Revolution durch die multimediale Vermarktung der Mangas, die ebenfalls in Japan ihren Ursprung fand. In Zeiten von Fernsehen, Internet und Nintendo war der Kampf um die spärliche Freizeit jugendlicher Comic-Leser für die Verlage immer härter geworden. Zunehmend entwickelten sie Strategien, ihre Mangas auch als Trickserie und Computerspiel oder in Form von Actionfiguren und Sammelkarten zu vermarkten.
Der auch auf Deutschland übertragene Boom liebloser Erzeugnisse wir „Pokémon“ oder „Yu-Gi-Oh!“ hat den Aufstieg der Mangas sicherlich begünstigt. Inzwischen ist das Angebot jedoch breiter geworden: Was früher Jungen und vor allem Mädchen zwischen 12 und 15 Jahren ansprach, zielt mehr und mehr auch auf ältere Jugendliche und Erwachsene.
Untrennbar verbunden mit der Popularität der Mangas ist der Erfolg ihrer verfilmten Geschwister, der so genannten Anime. Unbemerkt hatten die sich schon in den siebziger und achtziger Jahren in die Herzen deutscher Kinder geschlichen – kamen doch so unsterbliche Zeichentrick-Hits wie „Biene Maja“, „Heidi“ oder „Captain Future“ aus Japans damals schon blühender Animations-Industrie.
Diese Serien waren noch Auftragswerke nach europäischen Wünschen und Vorstellungen, doch inzwischen schickt Japan sich an, mit eigenen Produktionen selbst Disney und Pixar den Rang abzulaufen. Als unmissverständliches Warnsignal mussten die US-Konzerne es verstehen, dass vor drei Jahren das Fantasy-Märchen „Chihiros Reise ins Zauberland“ ausgerechnet bei den Oscars alle Konkurrenten im Animationssektor ausstach. Zwar sind die ganz großen Hits in westlichen Kinos bislang selten – während in Japan die drei erfolgreichsten Kinofilme aller Zeiten natürlich Anime sind –, aber umso mehr hat Japans Zeichentrick-Kunst im DVD-Markt eingeschlagen.
Monat für Monat gibt es zahlreiche Neuerscheinungen, in den Elektro-Kaufhäusern haben Anime längst ihren eigenen Bereich. Das Spektrum ist nicht weniger groß als bei den Mangas: Es geht von der kindgerechten Unterhaltung, die Großmeister Hayao Miyazaki so unvergleichlich in Szene setzt, bis hin zu harten Horror- und Thrillerstoffen, denen die Freiwillige Selbstkontrolle der Filmwirtschaft (FSK) trotz der lediglich gezeichneten Grausamkeiten eine Jugendfreigabe verweigert.
Die Breite des Angebots lässt es unmöglich erscheinen, die Ästhetik von Manga und Anime näher zu beschreiben. Jede gängige Behauptung – vom lange kolportierten Vorurteil einer übermäßigen Darstellung von Sex und Gewalt bis hin zum quietschbunten Pokémon-Stereotyp – stellt sich schnell als falsch heraus. Selbst die Beobachtung, dass die Figuren in japanischen Animationen unnatürlich große Augen haben, trifft bei weitem nicht immer zu. Sehr gut möglich ist allerdings, dass manch einer bei der Entdeckung der faszinierenden Comicwelten aus Fernost selbst große Augen bekommen wird. Was sich jahrelang am anderen Ende der Welt abspielte, entpuppt sich nun für den Westen als lohnenswerte Reise ins Zauberland.