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[OolW] Das verrückte Labyrinth
Beitrag: #1
vom - [OolW] Das verrückte Labyrinth
Er war nun schon 25 Jahre alt. 25 Jahre lang Sklave eines Systems, das ihn einsperrte. Gedankenverloren blätterte er in der Akte über seine Person und seine Therapie bei Dr. Himmel. Er las gerne in seiner Akte. Besonders der Part über ihn erwies sich des Öfteren als willkommene Lektüre, wenn ihnen langweilig wurde. Es war die Einleitung des Doktors. Es war also die Geschichte seines bisher 25-jährigen Lebens, nicht einmal eine halbe A4-Seite.

Zitat:Auszug aus der Krankenakte #555: Vorgeschichte des Patienten, Einleitung von Dr. Heinrich Himmel
Patient: H. A. (* 15. März 1995)

Der Patient wurde am 15. März 1995 in Whitechapel, London, United Kingdom geboren. Seine Mutter war Finnin und sein Vater deutscher Geschäftsmann. Nach der Geburt flogen sie nach Japan, wo sie in der U-Bahn bei den Terror-Anschlägen mit Sarin-Gas in Verbindung kamen. Beide Elternteile starben in Folge des Kontaktes. Sie hatten keine nennenswerten Krankheitsbilder, welche die Konditionen ihres Sohnes annähernd erklären könnten.
Durch das Vermögen, das seine Eltern hinterließen, konnte der Patient in verschiedenen renommierten Heilanstalten untergebracht werden, jedoch konnte keine einen nennenswerten Erfolg bei der Behandlung des Patienten verbuchen. Eine vollständige chronologische Übersicht der Behandlungsmethoden ist in der Sektion „Dokumentation der Behandlung“ aufgeführt.
Der Patient befindet sich seit dem 30. April 1995 kontinuierlich unter ärztlicher Aufsicht, davon seit seinem siebten Lebensjahr, wo die Persönlichkeitsstörungen erstmals bemerkt werden konnten, in psychiatrischer Behandlung. Eine Anhörung des Patienten, welche über dessen Zukunft entscheiden wird, steht an, da er das 18. Lebensjahr bald erreichen wird. Ohne das Ergebnis dieser Anhörung abzuwarten, werden wir mit den folgenden Dokumenten darstellen, dass wir die dauerhafte Unterbringung in unsere psychiatrische Anstalt als unabdinglich betrachten.
Nachtrag: Trotz positiver Anhörung wurde unserer Empfehlung nachgekommen und eine dauerhafte Unterbringung in einer psychiatrischen Anstalt angeordnet.

Wie wenig sie doch wussten. Geahnt, ja, das hatte der Doktor, aber gewusst? Auch er war nur ein Narr. Und Heikki war ein Sklave. Wieso er vorher noch nicht gehandelt hatte? Er hatte sich einfach nicht als Gefangener gefühlt. Solange er weiterhin Zugang zu bewusstseinsveränderten Substanzen hatte – natürlich ging es auch ohne, aber wozu verzichten? –, konnte er sich in Jaana hineinversetzen.
Wer Jaana ist? Jaana ist Heikki. Und dann wieder doch nicht, denn sie ist… nicht allzu umgänglich. Als sie sich das letzte Mal unkontrolliert gezeigt hatte, gab es acht Tote. Die kontrollierten Male danach verliefen nur unwesentlich glimpflicher für ihre Umwelt. Heikki mochte sie. Also nicht die Umwelt, sondern Jaana natürlich. Mittlerweile konnten sie sogar miteinander reden, ohne dass Jaana sich offenbaren musste. Sie hatten die gleichen Vorlieben, Träume und Wünsche; die allein gesehen jedoch Heikkis Aufenthalt in psychiatrischen Anstalten für jeden normalen Menschen vermutlich rechtfertigen würden. Aber Heikki ist nur einmal nicht normal, er ist ein Psychopath. Und Jaana ist die Facette, die nicht von dieser Welt ist. Und wenn sie diese Welt besucht, verheißt das im Regelfalle nichts Gutes.

Wir gehen chronologisch vor: Portugal, 1998: Ein Erdbeben der Stärke 6,2 erschüttert die Azoren, acht Menschen sterben. Aber gut, Jaana war auch erst drei, was konnte sie dafür? Zwei Jahre später, in Shaanxi, China: Dr. Himmel besucht mit Heikki das Museum der Terracotta-Figuren in Xi’an, ein kleiner Ausflug ist am nächsten Tag geplant. Heikki spielt ein wenig mit Schlamm, will eigene Terracotta-Armee bauen, doch Jaana hat andere Pläne… Ihre Schlammlawine begräbt ein ganzes Dorf, 120 Menschen sterben. Sylvester 2004 wird in Buenos Aires verbracht. Heikki findet immerhin Gefallen an den vielen Explosionen am Himmel, doch Jaana findet das langweilig und zündet in einer Discothek Feuerwerkskörper. Das Gebäude brennt komplett aus, 180 Menschen sterben. Natürlich wird Dr. Himmel misstrauisch – bzw. ist das schon seit Portugal – und die Auslandsaufenthalte werden gestrichen. Heikki beschließt, ein letztes Zeichen zu setzen und zündet 2005 mit Jaana ein Mehrfamilienhaus in Berlin an. Dem Brand fallen acht Menschen zum Opfer. Die Bewachung wurde intensiviert, obwohl niemand eine Ahnung hat, was Heikki mit den Unglücken zu tun hatte. Fünf Jahre lang ergibt sich keine Chance zur Flucht, doch dann darf Heikki den Doktor auf eine Konferenz nach Brüssel begleiten, schließlich ist er hochbegabt. So hochbegabt, dass er sich in Absprache mit Jaana in das Netzwerk der Bahn einklinkt und eine einzige Weiche verstellt. Zwei Züge stoßen frontal zusammen, mindestens 18 Menschen sterben.

Eine weitere Auszeit von fünf Jahren, mittlerweile ist es ruhiger geworden um das Duo. Nur Dr. Himmel starb überraschenderweise an einem Herzinfarkt; es sah beinahe so aus, als habe er sich zu Tode geängstigt. Und erstaunlicherweise schien er sich keine persönlichen Notizen zu seinem prominentesten Fall gemacht zu haben. Nur die offiziellen Akten zeugten von dem einen Fall, der nichts Besonderes zu sein schien. Heikki war nur einer von vielen Hochbegabten, die einen „kleinen Knacks“ hatten. In diesen zehn Jahren lebten die zwei also ein relativ behütetes Leben: Sie lasen viele Bücher, nahmen mehr Drogen und hatten am meisten Langeweile. Positiv festzuhalten: Es gab keine weiteren Todesopfer. Nicht, dass Jaana es nicht versucht hätte, doch Heikki gefiel der Gedanke, mit ihrer Beute zu spielen, anstatt sie zu erlegen. Natürlich probierte er auch am eigenen Körper aus, was Schmerz bedeutete, aber es war doch schöner, es bei anderen… Objekten zu beobachten. So versteckten sie sich also, begnügten sich mit Opfern, die schneller gingen, als sie angekommen waren, und lebten in ihrem eigenen kleinen Kosmos. Sie waren in viel „Heilanstalten“ gewesen, nachdem der Doktor verstorben war, und Heikki hatte die Kopien der Akten über ihn stets mitgenommen und aufmerksam studiert. Er wusste, auf was er zu achten hatte. In jeder Einrichtung machten die beiden einen besseren Eindruck, Schritt für Schritt, fünf Jahre lang, bis sich endlich eine Nachlässigkeit ergab.

Es wurde tatsächlich bewilligt, dass sie nach England in eine Einrichtung wechseln durften. Eigentlich war es wie ein Paradies für die zwei: Sie wanderten zwei Jahre lang unter verschiedenen Namen durch diverse Einrichtungen, bis sich ihre Spur für jeden normalen Fahnder verlor. Es hatte durchaus Vorteile, einen immensen IQ zu besitzen, man konnte unfassbar viele Menschen täuschen. Gefälschte Unterlagen, Pässe und Dokumente besaß Heikki zuhauf, sodass jeder „Umzug“ immer mit einem kleinen logistischen Aufwand verbunden war. Dass das auf Dauer nicht funktionieren konnte, war beiden auch klar, und so wurde ein Dreijahresplan zum Ausstieg in die Freiheit entworfen. Innerhalb eines Jahres schien sich Heikkis Zustand zu verbessern, sodass ihm Freigänge bewilligt wurden. Fußfesseln ließen sich allerdings zügig öffnen und an jemand anderem befestigen. Hatte er ein Wochenende „frei“, so besuchten sie des Nachts Institutionen, wo sie früher „Gäste“ waren. Der Rausch, den Heikki stets durch gewisse Substanzen zu verstärken wusste, war aber nicht das zentrale Element in ihrem Begehren, sondern die Akten über ihre Aufenthalte, die auf mysteriöse Weise verschwanden. Sollte sich jemand an ihn erinnern, schriftliche Unterlagen gäbe es dennoch nicht mehr. Und über Jaana erst recht nicht. Jaana wurde natürlich rückfällig, aber in geringem Maße, sodass nichts Auffälliges dabei war. Also nie mehr als drei Tote auf einmal.

Im zweiten Jahr musste Sorge getragen werden, dass die finanziellen Mittel in den nächsten zwölf Monaten soweit wiederhergestellt waren, als dass man sich keine Sorgen machen musste. Einige Hedgefonds sahen vielversprechend aus, und solange sich einer davon als so profitabel erweisen sollte wie gewünscht, würden sich alle Probleme vorerst in Luft auflösen. Alle Konten, die mit ihm in Verbindung hätten gebracht werden könnten, waren ebenso aufgelöst. Ein englisches Konto und ein anonymes Festgeldkonto in einem Steuerparadies sollten genügen. Außerdem brauchten sie Material, um ihren Abschied durchzuführen. Schließlich wollten sie sich mit einem großen Feuerwerk verabschieden. Natürlich würde eine Explosion durch Ammoniumnitrat für Aufruhe sorgen, aber dafür fand sich unverhofft eine Lösung. Eine Firma, die Düngemittel herstellte, hatte eine Fabrik im Industriegebiet im Nachbarsdorf erworben. Einen Großteil der verbleibenden Zeit verschlang die Produktion einer adäquaten Menge Ammoniumnitrat, ein ganzer Tankwagen voll sollte es sein. Als der Tankwagen randvoll war, hätte das Warten beginnen können, aber Jaana und Heikki wollten sich unbedingt ein neues Heim suchen. Jaana zog es natürlich nach London, die Stadt hatte sie schon jeher fasziniert. Heikki hätte sich lieber in einem kleinen Dorf niedergelassen, aber dann schnappten sie Gerüchte über ein altes Haus in London auf, das „Deathend 13“. Jaana hatte Heikki zu ihrer Freude überzeugt, sich das Haus an einem Tag, wo sie Freigang hatten, anzugucken. Es schien eine gute Kompromisslösung zu sein: In London, aber es sah derartig heruntergekommen aus, dass sich niemand darum zu scheren schien. Heikki willigte Jaana zur Liebe ein. Irgendwann war es dann auch endlich soweit. Heikki hatte Jaana den Zeitpunkt bis zuletzt verheimlicht, als Geschenk, als Überraschung. Als er am 31.12. heimlich, ohne sie zu wecken, einen obdachlosen Jungen mit einer Spritze lockte, in der sich ein Muskelrelaxans anstatt des versprochenen Heroin befand, und ihn in ihr momentanes Heim brachte, war sie gar außer sich vor Freude! Der Junge war vermutlich 16 Jahre alt, und Sylvester vor 16 Jahren in Buenos Aires… Heikki hatte wahrlich eine Schwäche für große Symbolik! Sie betteten den Jungen gemeinsam in Heikkis Bett. Abgesehen von der Akte von Dr. Himmel und seiner gefälschten Pässe gedachte Heikki nicht, etwas mitzunehmen. Es würde alles bis zur Unkenntlichkeit verbrannt werden. Zur Sicherheit, so riet Jaana ihm, tunkte er sie in ein wenig Ammoniumnitrat. Heikki wies die Oberärztin an, ihn nicht zu stören, er wolle sich das Feuerwerk in seinem Zimmer ansehen und dann zu Bette gehen, wie er es jedes Jahr pflegte. Stattdessen schlichen sie sich zu dem Tankwagen, wo das Logo der Firma prangte. Entsprechende Unterlagen waren im Vorfeld präpariert worden, schließlich war die Firma gegen Angriffe aus dem Netz kaum geschützt. Heikki konnte sich noch genau an jenen schicksalhaften Abend erinnern, wie, als sei es ein Roman, den er so oft gelesen hatte, dass er ihn mitsprechen konnte.

Heikki legte sich eine Line auf der Motorhaube. Und darüber noch eine. Wenige Sekunden später brannten ihm die Nasenschleimhäute, und ein bitterer Geschmack rann ihm die Kehle hinunter. Er startete den Motor und fuhr den Wagen neben das Gebäude, unweit seines Zimmers. Auf dem Beifahrersitz saß ein Mann, den er mit demselben Muskelrelaxans präpariert hatte, wie den Jungen, der in seinem Bett lag. Er stellte den Motor ab und hievte den Mann auf den Fahrersitz, legte die Hände aufs Lenkrad. Dann schloss er die Tür. Ein wenig abseits, außerhalb des Explosionsradiuses selbstverständlich, stand ein unauffälliger englischer Kleinwagen. Auf der Rückbank lag eine Akte. Im Handschuhfach befanden sich mehrere Pässe mit unterschiedlichen Namen aus verschiedenen Ländern. Ein Führerschein lag neben dem Schlüssel für das Auto auf dem Beifahrersitz. 23:55 Uhr, es war bald Zeit. „Bitte, lass mich es machen!!!“ „Nein.“ „Ich hab doch BITTE gesagt!“ flehte das Mädchen. „Nein.“ Kurzes Schweigen. „Aber, “ sagte sie leise, „damals hab‘ ich das auch alleine gemacht. Es wäre sehr schön, wenn ich wieder die Ehre hätte.“ Längeres Schweigen. 23:57. „In drei Minuten sind wir offiziell tot und inoffiziell frei. Ruhe jetzt.“ „Ich will aber!!!“ „…“ „Ich mach‘ dir zum Frühstück Sandwiches und Bacon.“ „Deal.“

Ein Zucken fuhr durch Heikkis Körper und er atmete noch ein, zwei Mal schnell durch die Nasenlöcher, um die restlichen Pulverrückstände aufzunehmen. Dann verzerrte sich sein Körper, er schrumpfte ein wenig, seine Haare wuchsen und wurden Pechschwarz. Wo gerade noch ein hübscher junger Mann mit mittellangen blonden Haaren und Dreitagebart gestanden hatte, taperte nun ein hübsches junges Mädchen mit langen schwarzen Haaren durch die Nacht. Dann breitete sie ihre Flügel aus. „Du bist echt der Beste!!! <3“ „23:59, mach‘ jetzt!“ „Ja ja…“ schmollte sie kurz, doch dann schien sie zu explodieren, sie riss ein Loch in den Tank, in dem sich das Ammoniumnitrat befand, zündete sich zwei Zigaretten an, von der sie eine aus mehreren Dutzend Metern zielgenau Richtung Tank warf und die andere genüsslich rauchte. Die geworfene Zigarette landete kurz vor dem Wagen. Ammoniumnitrat sickerte auf sie zu, und als es auf die Glut traf, gab es eine kleine Verpuffung, die sich schnell Richtung Tank ausbreitete. Um Punkt 00:00 gab es eine gewaltige Explosion, die das gesamte Gebäude erfasste. Jaana flog durch die Nacht.

„Wuuuuhuuuuuuuuuuuu! Das war super! Du bist so gut!“ „Ja. JA. JA! Und jetzt lass mich fahren, wir müssen hier weg!“ „Nö, ich will noch was kaputt machen!“ „Du hattest deinen Spaß. Da waren doch einunddreißig Leute im Gebäude. UND der Typ im Auto. UND wir hatten eine Abmachung.“ „…“ „Ich sag es nur noch einmal.“ „Aber die Explosion war so wunderschön… Wie eine Hitzewelle im Sommer!“ „Ich möchte aber gerne das Feuerwerk genießen und losfahren. Mach‘ schon.“ „Aber nur, weil du es bist! <3“

Heikki saß im Auto und atmete erst einmal tief durch. Die Uhr zeigte 00:06, es war höchste Zeit, sich auf den Weg zu machen, schließlich war die Feuerwehr normalerweise innerhalb von acht Minuten bei einem Feuer vor Ort. Er hoffte, dass es länger dauern würde und startete den Wagen. Er hörte die Sirenen, noch bevor er auf der M6 war, und atmete noch schneller, schaute sekündlich in den Rückspiegel. Er rauchte die zweite Zigarette seit der Explosion. „Wenn wir angehalten werden, das geht auf deine Kappe.“ „Ruhig Blut! Fahr einfach weiter, die haben gerade andere Sorgen! (:“ So sehr sich ihre Vorlieben und Wünsche und Gelüste und was-auch-immer ähnelten, so unterschiedlich waren ihre Persönlichkeiten. Heikki seufzte. Er trat aufs Gaspedal, fuhr leicht oberhalb der Geschwindigkeitsgrenze und passte sich dem fließenden Verkehr an. Im Radio redeten sie bereits über einen „Chemieunfall“ in Liverpool. 00:23, das war relativ gut. Ehe die Polizei jedwede Unauffälligkeit bemerken konnte, waren sie schon längst wieder in London. Im Radio gab es derweil regelmäßig Neuigkeiten zum Unfall in Liverpool. „Ich bin in London geboren, wusstest du das?“ „Ehrlich?! Wo genau?“ „Whitechapel.“ „Jack the Ripper. Cool!“ Mehr sprachen sie nicht, bis sie um 03:53 in London waren. Heikki hatte ein unauffälliges Motelzimmer gebucht, das anonym genug war, um unerkannt dort zu bleiben, bis man das Auto losgeworden war. Wann sie ins Deathend 13 ziehen würden, war Heikki noch nicht klar. Er schlief mit dem guten Gewissen ein, morgen früh Sandwiches und Bacon zu bekommen. Eingekauft hatte er schon. „Es war ein toller Tag. Vielen lieben Dank dafür! Schlaf schön und träum toll! =***“ „Keine Ursache. Eine gute Nacht wünsche ich dir.“

[Bild: wlyr0j.png]
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